Destruktive  Führung und Coaching

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“

                                                                           (Francis Picabia)        

 

Betriebe und Organisationen jeglicher Größe sehnen sich nach engagierten und qualifizierten Mitarbeitenden –  in Zeiten des  Fachkräftemangels eine umso größere Herausforderung. Es gibt vielfältige Ursachen für fehlende Mitarbeitende in Unternehmen. Nicht zu unterschätzende Gründe können unter anderem negative oder destruktive Führungsprozesse sein. Daher gehören gut ausgebildete Mitarbeitende sowie qualifizierte, konstruktiv führende Leitungs- und Führungskräfte zu den kostbarsten Ressourcen einer Organisation.

 

Das Anforderungsprofil und der Anspruch an gute Führungskräfte sind hoch: Sie sollen Verantwortung und wichtige Kommunikationsaufgaben übernehmen, Entscheidungen treffen, den diversen Zusammenhalt fördern sowie zur Effizienz ihres Bereiches als auch zu Konfliktlösungen ihrer Mitarbeitenden beitragen. Die Liste der Führungsaufgaben und des Führungsverhaltens ist lang und vielfältig. Konstruktiv arbeitende Führungskräfte können außerdem in der Regel die Komplexität von Führung sowie den dynamischen wechselseitigen Prozess zwischen Führenden und Mitarbeitenden nachvollziehen und verstehen (vgl. Günter und Kauffeld, 2021). 

 

Ob Führungskräfte einen akademischen Bildungshintergrund oder sich auf anderen Wegen beruflich weitergebildet haben, spielt dabei keine Rolle. Management- und Führungswissen wird heute sowohl in vielen Studiengängen als auch in beruflichen Weiterbildungen gelehrt – überwiegend auf theoretischer Basis.  Das ist wichtig, allerdings kommt der Praxisbezug dabei oft zu kurz. Vor allem, wenn sich die (Weiter-)Qualifizierung ausschließlich auf die fachliche Ebene bezieht, bleiben die Personalführung und Führungskräfteentwicklung häufig eher Randgebiete dieser Qualifizierten. Ob intern aufgestiegen oder frisch in der Organisation gestartet: Wer erstmalig als Führungskraft tätig wird, muss sich mit den neuen Aufgaben auseinandersetzen, sich in dieser neuen Rolle einfinden und sich dafür weiterentwickeln. Neben neuen Aufgaben und Rollen kommen bei einem internen Aufstieg die sich veränderten  Machtverhältnisse zwischen Führungskraft und z. B. langjährigen Arbeitskolleg*innen hinzu, die zu Konflikten führen können. Die fachliche Qualifizierung kann Führungskräfte beim reibungslosen übernehmen ihrer Aufgaben unterstützen. Doch wie sieht es mit der Übernahme der Führungsaufgaben aus, wenn die praktischen Führungsfähigkeiten bisher fehlen und ebenso die neue Rolle und das Führungshandeln noch unklar sind? Daher ist es unerlässlich, dass sich die Führungskraft sowohl auf die neuen Aufgaben und die neue Rolle intensiv vorbereitet als auch ihre Führungsprozesse kontinuierlich reflektiert und ggf. korrigiert. Konstruktive Führung kann zudem dazu beitragen, das Unternehmen sowie Mitarbeitende vor Schäden zu bewahren. Daher könnten Unternehmen ein sehr großes Eigeninteresse daran haben, angehende und langjährige Führungskräfte durch systematische Führungskräftefortbildung und Coaching bei der Führungskräftentwicklung zu begleiten und konkret zu unterstützen. Denn fehlende Führungsfähigkeiten, Führungsinkompetenz,  könne entgleiste Führung, also ein destruktives Führungsverhalten und damit nicht nur einen negatives Führungsklima erzeugen (vgl. Weinert, 1998).  Destruktive Führung kann sich u. a. in schädlichem, antisozialen Führungsverhalten zeigen (vgl. Ashorth 1994; Schyns & Schilling, 2013; zitiert nach  Günter, Kauffeld, 2021, S. 554). „Wie schlimm sind die Auswirkungen schlechter Führungskräfte?“: Mit ihrer Meta-Analyse aus 57 Studien schließen Birgit Schyns und Jan Schilling (2013) auf unterschiedliche Wirkungen durch destruktive Führung. Ihr Fazit: Es bestehe ein statistischer Zusammenhang zwischen destruktiver Führung und "Wohlbefinden, Leistung sowie Haltungen" von Mitarbeitenden gegenüber ihrer Führungskraft. Folgen negativer Führung könnten mangelnde Motivation, hohe Fehlzeiten, Fluktuationsabsichten sowie kontraproduktives Arbeitsverhalten von Mitarbeitenden sein (vgl. Ashorth, 1994; Weinert, 1998; Schyns & Schilling, 2013). Dabei könne destruktives Führungsverhalten ein nicht zu unterschätzender Faktor sein – sowohl mit Blick auf die Konsequenzen von Mitarbeitenden als auch auf den damit verbundenen möglichen wirtschaftlichen Schaden eines Unternehmens. Autor*innen wie  Slang und Bruch (2020, S. 189) sprechen sich für eine „beidhändige Führung“ aus. Danach sollten Führungskräfte „sowohl öffnende als auch schließende Führungsverhaltensweisen“ für Mitarbeitende gebrauchen. Führung ist für Wendt und Manhart (2022, S. 552) „eine systematische prinzipien-gebundene Kommunikationsarbeit mit der zum Management komplementären Funktionen“. Management und Führung bräuchten „kontext- und personensensibles Reagieren“. Mit Blick auf den zeitlichen Verlauf in der Diskussion von Führung werde deutlich, dass Führungsverantwortung immer mehr zerlegt und verteilt und dadurch mehr demokratisiert werde. Auch Günter und Kauffeld, (2021, S. 557) sehen einen Schwerpunkt in der Führungsentwicklung nicht mehr allein auf einzelne Personen, sondern ebenso auf Teams ausgerichtet. Für das praktische Vorgehen bedeute das zum einen, die Führungsfähigkeiten von Leitungskräften und zum anderen, die von Teams weiterzuentwickeln. Denn Teams würden zugleich an der Entstehung von Führung beitragen. Daher werden heroisierende Führungsansprüche versehen mit zahlreichen Privilegien als nicht mehr zeitgemäß betrachtet (Rebnikova, Lang, 2020, S.151). In den erwähnten Ausführungen wird zudem die Zirkularität von Führungsprozessen deutlich, die einen dynamischen Prozess von wechselseitig handelnden Organisationsmitgliedern beinhaltet. Bis hierhin zu der Führungsforschung. Wie könnten parallel zur praktischen Führungskräfte-Fortbildung (Training), weitere praktische und reflektierte Aneignungs-Anteile in der Führung aussehen?

 

Für eine Führungskraft ist es eine der zentralen Aufgaben, sich nicht nur mit der Theorie und der praktischen Handhabung von Führungsstilen auseinanderzusetzen. In einem begleitenden Coaching könnte diese Führungskraft ihre eigene Rolle und ihr Führungsverhalten zielgerichtet reflektieren und bearbeiten.  Gleichzeitig wäre es möglich, das gewünschte Anforderungs- und Fähigkeitenprofil in einem Soll-Ist-Vergleich zu analysieren. Damit könnten bereits vorhandene hilfreiche sowie bisher unentdeckte Ressourcen und Fähigkeiten, aber auch gewünschte erfasst werden. Wenn Führungskräfte sowie Unternehmen realisieren, dass Coaching keine Defizitorientierung ist, sondern persönliche Entwicklung und Möglichkeitsräume erweitern können, ist bereits viel gewonnen. Unabhängig vom beruflichen Umfeld der Führungskräfte, könnte das Thema, passen die eigenen Ziele und die Unternehmensziele zusammen? sowie beispielsweise diese weitere Themen eines Coachings sein:

Wie kommuniziere ich und schaffe Transparenz?

Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben meine eigene und die Wertehierachie der  Organisation, in der ich arbeite?

Welche Verhaltensmöglichkeiten habe ich zu meinen rollenbezogenen Anforderungen?

Treffe ich meine Entscheidungen nach einer „entweder-oder-Logik“ bzw. finde ich auch Lösungen im Rahmen einer „sowohl-als-auch-Logik“?

Handle ich authentisch?

Sind Komplexität und Belastungen relevante Themen für mich?

Handle ich eher nach traditionellen Rollenvorstellungen und Machtstrukturen?

Bin ich offen für neue Führungsansätze?

Welches Bewusstsein habe ich für destruktive Führungsprozesse?

Fördere ich die Autonomie meiner Mitarbeitenden und ermutige sie im Handeln?

Kann ich mit Blick auf die Arbeit Sinnorientierung bei Mitarbeitenden fördern?

 

Zielgerichtes Reflektieren der eigenen Führung kann somit gleichermaßen Führungskräfte mit wenig und langjähriger Erfahrung unterstützen sich weiterzuentwickeln. Mögliche „Verschleißerscheinungen“ im Führungsverhalten oder Sensibilität für Führungsproblematiken können während des begleitenden Coachings mit unterschiedlichen Methoden praxisbezogen beleuchtet und konkret bearbeitet werden. Das Fördern von Ressourcen, Potentialen und Handlungskompetenzen für konstruktives Führungsverhalten bringt Gewinn für alle Beteiligten – besonders für das Ziel, als Führungskraft authentisch zu handeln.

 

 

 

Quellen:

Ashforth, B. (1994). Petty tyranny in organizations. Human Relations, 47(7), 755–778.
Günter, A.,V., Kauffeld, S. (2021). Die Ko-Konstruktion von Führung in veränderungsbezogenen Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie, 52 (3), 551–562.

Picabia, F. (1995). Titel einer Sammlung von Aphorismen Picabias in der Edition Nautilus 1995 (Übersetzung von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt). Online: https//wikiquote.org.de/wiki/Francis_Picabia: Abgerufen: 23.01.2023.

Rebnikova, I., Lang, R. (2020). Partizipative Führung. Auf den Spuren eines Konzeptes. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie 51 (2), 141–154.

Schyns, B. & Schilling, J. (2013). How bad are the effects of bad leaders? A meta-analysis of destructive leadership and its outcomes. The Leadership Quarterly, 24 (1),138-158. Online: DOI:10.1016/j.leaqua.2012.09.001. Abgerufen: 23.01.23.

Slang, J., Bruch, H. (2020). Ein ambidextres Führungsklima – Erfolgsfaktor in der neuen Arbeitswelt. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie 51 (2), 187–197.

Wendt, Th., Manhart, S. (2022). Die Bildung der Organisation. Zur Komplexitätsfähigkeit von Management und Führung. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie 53 (4), 551–562.

Weinert, A. B. (1998). Organisationspsychologie. Ein Lehrbuch. 4. überarb. u. erw. Aufl. Weinheim: Psychologie Verlags Union.  

 

               

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